Familienzweig Jäcker

Von Horst Jäcker.

Familiennamen kamen erst im späteren Mittelalter auf, zuerst im 12. Jahrhundert beim Adel, der sich nach seinem Stammsitz nannte, wie z.B. Rudolf von Habsburg, dann seit dem 14. Jahrhundert beim Bürgerstand. Allgemein üblich wurden die Familiennamen seit dem 16. Jahrhundert.

Der Name Jäcker kommt in Deutschland sehr selten vor. Die Bedeutung des Namens ist nicht geklärt. Jäckner (als Jackenmacher) ist ebenso möglich wie die Deutung von Namens-forschern, Jäcker wie auch Jäckle seien Verkleinerungsformen von Jacob. Sprachforscher haben herausgefunden, dass sich in Elberfeld im 16. Jahrhundert mehrfach der Vorname „Jacker und Jaecker (Jakob?)“ findet. In Thüringen kennt man „jäcker“ als „springen, Sätze thun, schnell laufen“ , und das Wörterbuch der deutschen Sprache leitet „Jäckern“ von jagen ab: „schnell jagen, d.h. reiten (er jackerte weiter; ein Pferd müde jackern)“ . In Nordfriesland kennt man „de Jäcker, das Diminutivum von Jäck (Jacke) mit etwas verändertem Schnitt“

Da Namen früher aber auch häufig Bezug zu geographischen Gegebenheiten hatten, könnte vielleicht das Flüsschen Jecker in Brabant ( heute: Belgien) ein Hinweis sein. Nebenstehender Auszug stammt aus dem Lexikon „Der Große Zedler“ (um ca. 1730).

Im Jahre 1288 verbündete sich nämlich der Graf von Berg (der Herr über das Bergische Land) mit Herzog Johann von Brabant, um den Erzbischof von Köln, Siegfried von Westerburg, siegreich zu bekämpfen. Vielleicht ist einer der Kämpfer aus Brabant anschließend im Bergischen, also in der Gegend vom heutigen Wuppertal, geblieben.

Interessant sind noch folgende Fakten: Am häufigsten kommt der Name Jäcker im Saarland vor. Sogar in Frankreich wurden zwischen 1891 und 1990 85 Jäcker geboren, die Mehrzahl im oberen Elsass, zwischen den Vogesen und Freiburg.

Zum ersten Mal taucht der Name Jäcker im Jahre 1613 auf einem „Haberzettel“ von Joh. Einck (seit 1600 Lehrer an der reformierten Schule in Cronenberg – heute Stadtteil von Wuppertal) auf, und zwar als ein von 31 Kirchspielhöfen: Jäkers Kolffurt.

Der Fluß in der Mitte ist die Wupper. Links liegt das „Solinger Colfert“, rechts (auf der Cronenberger Seite) der Hof „Colfert“, das heutige Kohlfurt. Man sieht zwei Gehöfte: eins war „Jäkers Kolffurt“, das andere „Jöriß Kolffurt“.

85 Jahre später werden die beiden Höfe in der „Elberfelder Amts-rechnung von 1698 – 99“ als zinspflichtig aufgeführt: „… 2. Gorris Kolfart 12 Thlr, 3. Jäckers Kolfart 8 Thlr …“ 1684 finden wir im Kirchenbuch der evangelisch reformierten Gemeinde Cronenberg folgende Einträge: 1. Juni ist Cecilia Jäcker Taufzeugin von Joh. von der Beyß, am 9. Oktober 1684 wird Gertraut Jäcker Taufpatin von Clemens Höllerhoff. Diese Gertraut erscheint am 5. März 1690 zusammen mit ihrem Ehemann Wilhelm Jäcker beim Pfarrer und lässt ihren Sohn Peter taufen. Der Eintrag im Kirchenbuch lautet: „d. 5. Marty ein Kindt getaufft genandt Peter, dessen Eltern Wilhelm Jäcker Gertraudt Eheleuthe und Zeugen gewesen Peter Muschenborn Peter Clauberg und Maria Peter Holters Haußfrau“.

Der älteste urkundlich erwähnte Ahnherr ist also Wilhelm Jäcker (geboren vor 1670). Über Wilhelms Wohnort, Beruf oder den Geburtsnamen seiner Frau Gertraut steht nichts im Kirchenbuch. Die Dokumentation von Geburten, Eheschließungen und Sterbefällen in Kirchenbüchern war erst seit ein paar Jahrzehnten üblich und wurde noch nicht so ernst genommen.

Am 25. November 1714 ist Peter inzwischen 24 Jahre alt und mit einer Margareta verheiratet. An diesem Tag lassen sie in der gleichen Kirche in Cronenberg ihren Sohn Johann Peter taufen. Johann Peter heiratet eine Anna Magdalena und lässt am 26. November 1741 seinen Sohn auf den Namen Petrus taufen. Und nun erfahren wir im Taufbuch etwas über Jäckers Wohnplatz: am Greuel. Diese Hofschaft wird 1711 erstmals in der vom Pfarrer Ovenius aufgestellten Gemeinderolle genannt.

Am 19. Februar 1742 stirbt Petrus leider – er ist gerade mal drei Monate alt geworden. Und wieder taucht der Name „Greuel“ als Wohnort auf.

Wir finden diese kleine Ansiedlung zwischen Wuppertal und Solingen (genauer: zwischen Möschenborn und Berghausen).

In seinem „Tagebuch“ schreibt Philipp A. Nemnich im Jahre 1809 über diese Gegend: „Zahlreiche Bäche, woran viele Reckhämmer und Schleifkotten, wie auch Oel- und Fruchtmühlen angelegt sind, durchwässern diesen Distrikt.“

Da man sich in Solingen bereits recht früh auf die Bearbeitung von Metall, insbesondere die Herstellung von Schneidwaren (Messer, Scheren usw.) spezialisierte, war es nahe liegend, sich der Kraft der zahlreichen strömungsreichen Gewässer zu bedienen und die ersten Kotten (Arbeitsplätze) an Bach- oder Flussläufen zu errichten. Wasserräder trieben die ersten Schmiedehämmer und unzählige Schleifsteine noch lange Zeit nach der Erfindung der Dampfmaschine an, einige bis zum heutigen Tag.

Irgendwo mussten die zahlreichen Schmiede, Schleifer, Pliester etc. mit ihren Familien ja schließlich leben. Busse und Bahnen oder gar Autos gab es nicht, so dass der tägliche Weg zur Arbeitsstätte und zurück zu Fuß zu bewältigen war. So entstanden vermutlich die ersten Hofschaften als Lebensräume der Kottenarbeiter in der Nähe dieser Kotten.

Die Hofschaft ist vergleichbar mit einem sehr kleinen Dorf, allerdings ohne die für Dörfer selbstverständlichen Dinge wie Lebensmittelladen, Kirche, Kneipe oder ähnlichem. Sie war lediglich eine kleine Ansammlung von Häusern, ein jedes mit kleinem Nebengebäude und Garten. Schließlich reichte der Verdienst im Kotten nicht für den gesamten Lebensunterhalt, so dass man im Garten Gemüse zog und im Nebengebäude ein oder zwei Ziegen oder Schafe und ein paar Hühner hielt. Wer sich ein wenig mehr leisten konnte, hatte außer dem Gemüsegarten noch einen „Baumhof“, also ein Stück Land, auf dem Obstbäume gepflanzt waren.

Und so eine Hofstatt war auch Greuel. Hier lebte also die Familie Jäcker, und hier kam auch ihr zweiter Sohn zur Welt, den sie am 06.01.1743 auf den Namen Johann Petrus taufen ließen.

Eintrag in das Cronenberger Kirchenbuch am 6. Januar1743: Taufe von Joh. Petrus

Als Johann Petrus etwa 27 Jahre alt war, heiratete er Maria Catharina Lang. Ihr erster Sohn, Engelbert, wurde am 18.01.1771 getauft, am 25.01.1774 erhielt Peter die Taufe.

Peter wurde Nagelschmied und Händler, d.h. er stellte Eisennägel her, die er dann auch selbst vermarktete. Diesen Beruf muss man sich so vorstellen: Der Nagelschmied zog einen zur Weißglut erhitzten vierkantigen Eisenstab durch Schmieden und Gegenschmieden auf einem Amboss derart aus, dass er zu einem Ende hin dünner und spitzig wurde. Anschließend steckte er den angefangenen Nagel in das Nageleisen und stauchte das überstehende Ende zur Kopfform. Für einen Nagel waren 15 bis 60 Schläge erforderlich, ein geschickter Schmied brachte es – je nach Nagelsorte – auf 500 bis 4000 Nägel pro Tag. Wenn Eisen und Kohle von guter Qualität waren, brauchte er dazu 13, sonst 14 Stunden.

Im Jahre 1791, Peter war gerade 17 Jahre alt, schrieb Mozart die Zauberflöte, 1793 fand die letzte Hexenverbrennung in Europa statt und 1807 wurde die Leibeigenschaft abgeschafft. In diesem Jahr, am 14. Mai 1807, heiratete Peter die 23jährige Anna Catharina Krone aus Radevormwald (hier der Eintrag im Kirchenbuch).

Mai 14. wurde auf 3malige Proklamation und Dimissorialen der Braut von Rade vorm Walde am ??? No. 372 (?) copuliert: Peter Jäcker, Peter Jäcker am Hohlenscheidt nachgelassener ehelicher Sohn und Anna Catharina Krone, Stephan Leopold Krone aus Honsberg Kirchspiel Rade vorm Wald eheliche Tochter Bemerk. Das Brautpaar reform. Der Bräutigam hierselbst geboren, ohngefähr 30 Jahre alt, Nagelschmied und Nagel-händler seine Mutter war Marie Cath. Lange. Die Braut geboren in Rade vorm Wald ??? 23 Jahre alt. Ihre Mutter ist Anna Christina Hohfeld. Zeugen Peter Christianus, Kaufmann in Eisen …..

Peter Jäcker, der Vater des Bräutigams, wohnte inzwischen also „am Hohlenscheidt“. Diese Wohnstatt ist heute nur noch als Flurname in Cronenberg bekannt. Cronenberg war seit 1427 im Besitz des Herzogtums Berg, welches 1806 in französische Herrschaft übergeht – ein Ergebnis des Siegeszugs des Kaisers Napoleon I. Am 5. April 1815 nahm König Friedrich Wilhelm III. von Preußen das Großherzogtum Berg in Besitz – es wurde also preußisch.

Über den Geburtsort der Braut: Wahrscheinlich entstand Honsberg als bäuerliche Hofschaft, vielleicht auch als vorgelagerte Raststation für die Fuhrwerke der Handelsstrasse, die auf dem beschwerlichen Weg den „Honsberg“ hinauf nach Radevormwald Pferden und Menschen die wohlverdiente Pause ermöglichte. Die vielen, heute noch sichtbaren ausgefahrenen und nebeneinander liegenden Furten in den Wäldern rund um Honsberg zeugen von einem regen Verkehr von und nach Honsberg.

Aus der Ehe von Peter und Anna Catharina sind uns drei Kinder bekannt: Anna Wilhelmina (* 03.09.1807), Peter (* 01.12.1808) und Carl Johann (* 07.02.1812). – Peter starb im März 1855 im Alter von 81 Jahren in Solingen.

Carl wurde ebenfalls Nagelschmied. Er heiratete 1847 Wilhelmine Catharine Maria Hufschmidt aus Cronenberg, deren Vater auch Nagelschmied war und deren Mutter aus Crostewitz in Sachsen kam (einem Rittergut bei Leipzig, das inzwischen dem Braunkohleabbau zum Opfer gefallen ist).

So sah Cronenberg im Jahre 1856 von der Nordseite aus (Zeichnung von Johann Müller) Jäckers waren also inzwischen etwa 12 Kilometer östlich von Cronenberg nach Lennep gezogen, wo Ferdinand (mein Urgroßvater) am 10. September 1849 das Licht der Welt erblickte. Hier der Wortlaut der Urkunde Nr. 234:

Ein Jahr zuvor, 1848, wurde Wilhelmina Charlotta geboren und 1852 Luise Wilhelmine; darüber hinaus gab es noch drei weitere Kinder.

Carl starb 1890 im Alter von 78 Jahren in Lennep, seine Frau Wilhelmine war leider schon 1869 in Barmen gestorben; sie wurde nur 57 Jahre alt.

Etwa 20 Jahre zuvor begann in Deutschland das Eisenbahn-Zeitalter. Es war der Beginn einer neuen und weit reichenden industriellen Revolution in der Welt.

Der “Adler” war die erste Eisenbahn in Deutschland. 1835 fuhr er die kurze Bahnstrecke von Nürnberg nach Fürth.

In Deutschland setzte man noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts verbissen auf die überholte Pferdekraft. Solch neuen und unbekannten Erfindungen standen Bürger, Politik und die Naturwissenschaften recht ängstlich gegenüber. Dies betraf ganz besonders die neue, unbekannte Verkehrstechnik. So warnten Ärzte allen Ernstes vor Schwindsucht und Tod bei den “hohen Geschwindigkeiten” von mehr als 30 km/h. Doch gab es auch Befürworter, die die gewaltigen Chancen für neue Mobilität, Wirtschaftswachstum und Wohlstand der Bürger erkannten, wie man folgenden Zeilen von 1834 entnehmen kann: „Die Zeiten, wo man als Haupteinwand gegen Eisenbahnanlagen die Befürchtung ansah, daß die Waarenzüge zu schnell durch das Land gehen würden, daß nicht mehr so viel Verdienst durch Zehrung von Frachtfahrern, durch Vorspann, zerbrochene Wagen, gequälte Pferde etc. im Lande stattfinden werde, … sind durch die Belehrung und Gewalt der Umstände glücklich überstanden“

So erlebte Ferdinand als Junge, wie sich in Lennep (heute Stadtteil von Remscheid) ein reger Zugbetrieb entwickelte: fünf Zugstrecken liefen am Hauptbahnhof zusammen. Da war es auch nicht verwunderlich, dass in diesem Ort eine Betriebswerkstätte für Lokomotiven eingerichtet wurde; und es war auch nicht verwunderlich, dass Ferdinand sich seinen Kindheitstraum erfüllte: er wurde Lokomotivführer.

Um die Laufbahn als Lokomotivführer bei der preußischen Staatsbahn einschlagen zu können, genügte als Vorbildung die „Kenntnis der Gegenstände des Volksunterrichts, insbesondere Lesen und Schreiben, sowie Rechnen der vier Spezies, auch mit gewöhnlichen und Dezimalbrüchen und Fähigkeit, über einen Vorgang aus dem Dienstkreise eines Lokomotivführers eine schriftliche Anzeige in angemessener Form zu erstatten …“ . Gleichzeitig wurden allerdings „spezielle Kenntnis der Lokomotive und ihrer einzelnen Theile, sowie … der Behandlung der Lokomotive während der Fahrt und im kalten Zustande“ verlangt.

Die Bewerber mussten also zwangsläufig Facharbeiter sein. Sie stammten ursprünglich aus dem Schlosser-, Schmiede- oder Maschinenbauhandwerk. So gelangte Ferdinand in den Status eines mittleren Beamten mit einem Jahresgehalt von etwa 1500 Mark, monatlich also 125 Mark, was der heutigen Kaufkraft von etwas 1200 Euro entspricht. Das war nicht gerade viel, aber man konnte damit ganz gut zurechtkommen. (Zum Vergleich: ein landwirtschaftlicher Arbeiter hatte etwa die Hälfte zur Verfügung). Immerhin waren sie in der Lage, für ihre Tochter ein Tafelklavier anzuschafften.

Seine Enkeltochter Margarete Schulze beschreibt ihren Opa so: „Um so lebendiger steht mein Großvater vor uns. Er war wie seine Vorfahren evangelisch, Großmutter katholisch wie ihre ganze Familie. Großvater war schneidig, groß, stattlich, hatte bis zu seinem Tode dichtes, schwarzes Haar. Er machte als Husar den Krieg 1870/71 mit, und zwar auch den Todesritt von Mars-la-Tour und Vionville, der überaus mörderisch verlief. Er besaß eine Dankmünze davon nebst sonstigen Krieg- und Militärerinnerungen und war überzeugtes Mitglied des Kriegervereins. Am 3.6.1873 heiratete er in Düsseldorf unsere Großmutter. Sie erzählte davon, wie sie gemeinsam zur Trauungsanmeldung zum katholischen Pfarrer gegangen seien. Er habe die Braut zunächst mit ins Nebenzimmer genommen, um ihr ein letztes Mal ins Gewissen zu reden: “Gretchen, der Schritt, den du tun willst, gefällt mir gar nicht!” Großvater öffnete rasch die Tür. “Das ist auch gar nicht nötig, Herr Pastor. Die Hauptsache bleibt, daß er uns gefällt.”

Das junge Paar wohnte in Dortmund, wo in verhältnismäßig schneller Folge insgesamt 13 Kinder zur Welt kamen. Wie es damals leider oft geschah, starben eine ganze Reihe klein im Säuglings- bzw. Kleinkindalter; und so wurden nur ein Mädchen und fünf Jungen erwachsen: Margarethe (1875), Franz (1876), Ferdinand (1879), Carl Wilhelm (7.5.1884), Willi (1887) und Walther (1889).

Am 23.12. 1881 hatte Ferdinand einen schrecklichen Unfall: beim Einfahren in den Essener Hauptbahnhof sprang seine Schnellzuglokomotive aus den Gleisen. Dabei platzte der Kessel und das heiße Wasser ergoss sich über ihn. Seine gesundheitlichen Schäden waren so erheblich, dass er seinen Beruf nicht mehr ausüben konnte. Als Frühinvalide zog er mit seiner Familie nach Rehme (heute Stadtteil von Bad Oeynhausen) und erwarb in der Mindener Straße Nr. 313 ein kleines Häuschen mit Garten.

Die bescheidene Pension von etwa 75 Mark im Monat zwang die Familie, sich weitgehend durch Garten, Schweine- und Hühnerhaltung selbst zu versorgen.

Ferdinand starb im März 1914, noch vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, seine Frau Margaretha fünf Jahre später.

Foto 1: Auf diesem Foto sieht man vier der fünf Geschwister im Erwachsenenalter, und zwar von links: Carl, Franz, Walther, Willi und Margarethe. Ferdinand jr. fehlt.
Foto 2: Lothar Jäcker und Lutz Jäcker
Foto 3: Horst Jäcker und Lothar Jäcker
Foto 4 und 5: Heidi, Horst, Justus und Lutz Jäcker

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